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Letzter Kunstgriff

Wenn man merkt, daß der Gegner überlegen ist und man Unrecht behalten wird, so werde man persönlich, beleidigend, grob. Das Persönlichwerden besteht darin, daß man von dem Gegenstand des Streites (weil man da verlornes Spiel hat) abgeht auf den Streitenden und seine Person irgend wie angreift: man könnte es nennen argumentum ad personam, zum Unterschied vom argumentum ad hominem: dieses geht vom rein objektiven Gegenstand ab, um sich an das zu halten, was der Gegner darüber gesagt oder zugegeben hat. Beim Persönlichwerden aber verläßt man den Gegenstand ganz, und richtet seinen Angriff auf die Person des Gegners: man wird also kränkend, hämisch, beleidigend, grob. Es ist eine Appellation von den Kräften des Geistes an die des Leibes, oder an die Tierheit. Diese Regel ist sehr beliebt, weil jeder zur Ausführung tauglich ist, und wird daher häufig angewandt. Nun frägt sich, welche Gegenregel hiebei für den andern Teil gilt. Denn will er dieselbe gebrauchen, so wirds eine Prügelei oder ein Duell oder ein Injurienprozeß.

Man würde sich sehr irren, wenn man meint, es sei hinreichend, selbst nicht persönlich zu werden. Denn dadurch, daß man Einem ganz gelassen zeigt, daß er Unrecht hat und also falsch urteilt und denkt, was bei jedem dialektischen Sieg der Fall ist, erbittert man ihn mehr als durch einen groben, beleidigenden Ausdruck. Warum? Weil wie Hobbes de Cive, Kap. 1, sagt: Omnis animi voluptas, omnisque alacritas in eo sita est, quod quis habeat, quibuscum conferens se, possit magnifice sentire de seipso. – Dem Menschen geht nichts über die Befriedigung seiner Eitelkeit und keine Wunde schmerzt mehr als die, die dieser geschlagen wird. (Daraus stammen Redensarten wie »die Ehre gilt mehr als das Leben« usw.) Diese Befriedigung der Eitelkeit entsteht hauptsächlich aus der Vergleichung Seiner mit Andern, in jeder Beziehung, aber hauptsächlich in Beziehung auf die Geisteskräfte. Diese eben geschieht effective und sehr stark beim Disputieren. Daher die Erbitterung des Besiegten, ohne daß ihm Unrecht widerfahren, und daher sein Greifen zum letzten Mittel, diesem letzten Kunstgriff: dem man nicht entgehen kann durch bloße Höflichkeit seinerseits. Große Kaltblütigkeit kann jedoch auch hier aushelfen, wenn man nämlich, sobald der Gegner persönlich wird, ruhig antwortet, das gehöre nicht zur Sache, und sogleich auf diese zurücklehnt und fortfährt, ihm hier sein Unrecht zu beweisen, ohne seiner Beleidigungen zu achten, also gleichsam wie Themistokles zum Eurybiades sagt: pataxon men, akouson de. Das ist aber nicht jedem gegeben.

Die einzig sichere Gegenregel ist daher die, welche schon Aristoteles im letzten Kapitel der Topica gibt: Nicht mit dem Ersten dem Besten zu disputieren; sondern allein mit solchen, die man kennt, und von denen man weiß, daß sie Verstand genug haben, nicht gar zu Absurdes vorzubringen und dadurch beschämt werden zu müssen; und um mit Gründen zu disputieren und nicht mit Machtsprüchen, und um auf Gründe zu hören und darauf einzugehn; und endlich, daß sie die Wahrheit schätzen, gute Gründe gern hören, auch aus dem Munde des Gegners, und Billigkeit genug haben, um es ertragen zu können, Unrecht zu behalten, wenn die Wahrheit auf der andern Seite liegt. Daraus folgt, daß unter Hundert kaum Einer ist, der wert ist, daß man mit ihm disputiert. Die Übrigen lasse man reden, was sie wollen, denn desipere est juris gentium, und man bedenke, was Voltaire sagt: La paix vaut encore mieux que la vérité; und ein arabischer Spruch ist: »Am Baume des Schweigens hängt seine Frucht der Friede.«

Das Disputieren ist als Reibung der Köpfe allerdings oft von gegenseitigem Nutzen, zur Berichtigung der eignen Gedanken und auch zur Erzeugung neuer Ansichten. Allein beide Disputanten müssen an Gelehrsamkeit und an Geist ziemlich gleichstehn. Fehlt es Einem an der ersten, so versteht er nicht Alles, ist nicht au niveau. Fehlt es ihm am zweiten, so wird die dadurch herbeigeführte Erbitterung ihn zu Unredlichkeiten und Kniffen [oder] zu Grobheit verleiten.

Zwischen der Disputation in colloquio privato sive familiari und der disputatio sollemnis publica, pro gradu usw. ist kein wesentlicher Unterschied. Bloß etwa, daß bei letzterer gefordert wird, daß der Respondens allemal gegen den Opponens Recht behalten soll und deshalb nötigenfalls der praeses ihm beispringt; – oder auch daß man bei letzterer mehr förmlich argumentiert, seine Argumente gern in die strenge Schlußform kleidet.

 

The Ultimate Stratagem (XXXVIII)

A last trick is to become personal, insulting, rude, as soon as you perceive that your opponent has the upper hand, and that you are going to come off worst. It consists in passing from the subject of dispute, as from a lost game, to the disputant himself, and in some way attacking his person. It may be called the argumentum ad personam, to distinguish it from the argumentum ad hominem, which passes from the objective discussion of the subject pure and simple to the statements or admissions which your opponent has made in regard to it. But in becoming personal you leave the subject altogether, and turn your attack to his person, by remarks of an offensive and spiteful character. It is an appeal from the virtues of the intellect to the virtues of the body, or to mere animalism. This is a very popular trick, because every one is able to carry it into effect; and so it is of frequent application. Now the question is, What counter-trick avails for the other party? for if he has recourse to the same rule, there will be blows, or a duel, or an action for slander.

It would be a great mistake to suppose that it is sufficient not to become personal yourself. For by showing a man quite quietly that he is wrong, and that what he says and thinks is incorrect - a process which occurs in every dialectical victory - you embitter him more than if you used some rude or insulting expression. Why is this? Because, as Hobbes observes,17 all mental pleasure consists in being able to compare oneself with others to one's own advantage. Nothing is of greater moment to a man than the gratification of his vanity, and no wound is more painful than that which is inflicted on it. Hence such phrases as "Death before dishonour," and so on. The gratification of vanity arises mainly by comparison of oneself with others, in every respect, but chiefly in respect of one's intellectual powers; and so the most effective and the strongest gratification of it is to be found in controversy. Hence the embitterment of defeat, apart from any question of injustice; and hence recourse to that last weapon, that last trick, which you cannot evade by mere politeness. A cool demeanour may, however, help you here, if, as soon as your opponent becomes personal, you quietly reply, "That has no bearing on the point in dispute," and immediately bring the conversation back to it, and continue to show him that he is wrong, without taking any notice of his insults. Say, as Themistocles said to Eurybiades - Strike, but hear me. But such demeanour is not given to every one.

As a sharpening of wits, controversy is often, indeed, of mutual advantage, in order to correct one's thoughts and awaken new views. But in learning and in mental power both disputants must be tolerably equal: If one of them lacks learning, he will fail to understand the other, as he is not on the same level with his antagonist. If he lacks mental power, he will be embittered, and led into dishonest tricks, and end by being rude.

The only safe rule, therefore, is that which Aristotle mentions in the last chapter of his Topica: not to dispute with the first person you meet, but only with those of your acquaintance of whom you know that they possess sufficient intelligence and self-respect not to advance absurdities; to appeal to reason and not to authority, and to listen to reason and yield to it; and, finally, to cherish truth, to be willing to accept reason even from an opponent, and to be just enough to bear being proved to be in the wrong, should truth lie with him. From this it follows that scarcely one man in a hundred is worth your disputing with him. You may let the remainder say what they please, for every one is at liberty to be a fool - desipere est jus gentium. Remember what Voltaire says: La paix vaut encore mieux que la verite. Remember also an Arabian proverb which tells us that on the tree of silence there hangs its fruit, which is peace.


17.) Elementa philosophica de Cive.


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Die Kunst, Recht zu behalten The Art Of Controversy
Quellen, andere Versionen im WWW:
gutenberg.spiegel.de/schopenh/eristik/eristik.htm
www.roesch-pr.de/Arthur%20Schopenhauer.pdf
Sources and other versions on the net:
manybooks.net/search.php?search=art+of+controversy